Soll ich – wie „alle“ – auch über den Muttertag schreiben? Kann ich das überhaupt? Schließlich hab ich diesen Tag, nachdem meine Mama gestorben war, viele Jahre ignoriert – oder zumindest hab ich versucht, ihn zu ignorieren. Nicht dass wir, als sie noch lebte, ein großes Tamtam darum gemacht hätten. Unter anderem weil Mama Ende Mai Geburtstag hatte (oder hat? Ich weiß immer noch nicht, wie man das „richtig“ formuliert…). Und da sie in Wien gelebt hat, haben wir meist „alles in einem“ gefeiert. Wobei meine Mama im Grunde keine große Muttertags- undoder Geburtstagsfeierin war. Sie hat vielmehr und tatsächlich die Feste so gefeiert, wie sie gefallen sind. Und obwohl wir – wie das halt so ist zwischen Mutter und Tochter 😉 – nicht immer einer Meinung waren, habe ich sie jeden Tag hochleben lassen: Wenn wir uns gesehen haben, wenn ich bei ihr in Wien war, sie uns hier in Feldkirch besucht hat oder wir sonst wo gemeinsam Zeit verbracht haben. Im Herzen sowieso. Und daran wird sich nie etwas ändern, denn meine Mama – diese tolle, wunderschöne Frau – ist mein größtes Vorbild und wird es immer bleiben.
Wenn andere Mamas feiern… In den ersten Jahren nach Mamas Tod waren „Festtage“ – ob Muttertag, Geburts- oder sonst ein Feiertag – eher eine Qual für mich. Es war nicht so, dass ich mich verkrochen, Trübsal geblasen oder den lieben langen Tag geweint hätte. Es war einfach so, dass mir an diesen Tagen noch klarer wurde, dass ich keine Mama mehr habe, mit der ich feiern kann. Dass ich nicht wie alle anderen um mich herum (zumindest kam es mir so vor) keine Zeit habe, da ich diese ja mit der Familie verbringen „muss“.
Meine Familie ist der Erbsenprinz. Wir haben keine Kinder und werden wohl nie welche haben. Zuerst haben wir uns damit „abgefunden“, mittlerweile sind wir tatsächlich glücklich zu zweit (doch das ist eine andere Geschichte…). Feiertage bieten uns die Möglichkeit, Zeit miteinander zu verbringen. Sie entschleunigen uns. Nach Mamas Tod musste ich mir allerdings einreden, dass das so ist. Dass es gut ist, wie es ist. Und dass wir es genießen (dürfen), Zeit nur füreinander zu haben. Heute weiß ich, dass es tatsächlich so ist. Nicht dass Mama diese Tage nicht mehr mit uns verbringen kann – das ist OK. Gut kann das nie sein und nie werden. Denn sie fehlt an jedem einzelnen Tag.
An meiner Seite. Und doch habe ich Frieden damit geschlossen, dass ich meine Mama am Muttertag oder an irgendeinem anderen Tag nicht mehr hochleben lassen kann. Dass ich nicht mit ihr feiern, ihr keine Geschenke machen und sie nicht umarmen kann, um ihr noch mehr und noch eindringlicher zu zeigen, wie unbeschreiblich lieb ich sie habe. Es tut weh, aber es ist OK. Und weil das so ist, konnte ich Anfang dieses Jahres auch mein Buch herausbringen, in dem ich über den letzten Weg meiner Mama schreibe, den ich mit ihr gehen durfte. Es war einfach an der Zeit.
Innerlich sage ich Mama jeden Tag, dass ich sie liebe. Oft kommen mir dabei die Tränen – wie auch jetzt. Und im nächsten Moment muss ich lächeln und ich weiß, dass Mama mir dieses Lächeln aufs Gesicht zaubert, denn sie ist immer bei mir. Sie begleitet mich mein ganzes Leben. Sie ist nur, wie Charles Peguy so schön und unglaublich passend schreibt, auf der anderen Seite des Weges.
Und weil ich außerdem weiß, dass ich mit all dem nicht alleine bin, „widme“ ich sein Gedicht all jenen Töchtern und Söhnen, die ihre Mama nicht mehr in die Arme schließen können. Uns bleibt die Umarmung von Herz zu Herz.
Auf der anderen Seite des Weges
Charles Peguy
Der Tod ist nichts.
Ich bin nur in ein anderes Zimmer gegangen.
Ich bin ich. Ihr seid ihr.
Das, was ich für euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen,
den ihr mir immer gegeben habt.
Gebraucht nie eine andere Redeweise,
seid eine Zeit lang traurig,
aber lacht auch weiterhin über das,
worüber wir gelacht haben.
Redet über mich,
denkt an mich,
betet für mich,
damit mein Name laut ausgesprochen wird.
so wie es immer war,
ohne die Spur eines Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war,
der Faden ist nicht durchschnitten.
Warum soll ich nicht mehr in Euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in Eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg.
Ich bin nur auf der anderen Seite des Weges.
Ich wünsche allen Mamas und allen Kindern einen wunderschönen Muttertag! Umarmt Euch, lacht oder weint miteinander, erzählt Euch Geschichten von früher oder was Euch gerade beschäftigt, genießt die gemeinsame Zeit und sagt so oft es Euch auf den Herzen liegt: Mama, ich hab Dich lieb!
2 Kommentare
Hallo, ich habe diesen Beitrag gelesen und ich will dir sagen, dass ich es toll finde, dass du ihn geschrieben hast.
Ich selbst habe meine Mutter schon sehr früh verloren und Anfang letzten Jahres dann auch noch ganz überraschend meine Ersatzmama – meine Oma. Und ich finde es daher ganz besonders toll, das jemand einen Muttertagsbeitrag schreibt, in dem auch mal die verstorbene Mutter – die vielleicht noch dringend gebraucht worden wäre – dadurch geehrt wird.
LG Julia
Liebe Julia! DANKE, dass Du das mit mir/uns hier teilst!
Ich habe für mich beschlossen, offen zu sein und offen über meine Geschichte zu sprechen, weil ich weiß, dass ich anderen damit beitragen kann. Und für mich war es dieses Jahr einfach an der Zeit, auch an diesem Tag offen und ehrlich darüber zu schreiben, was dieser Tag für mich bedeutet. Ein Tag, der von den einen gefeiert, von vielen anderen jedoch regelrecht vermieden wird. Jeder muss da seinen Weg finden.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Wer immer den Platz einer Mama in unseren Herzen einnimmt, hat es so was von verdient, von uns geehrt zu werden. Meine Omas sind viel zu früh gestorben, als dass sie für mich so wichtig hätten werden können, wie das bei Dir der Fall war. Zum Glück hatte ich meine Mama zumindest 30 Jahre an meiner Seite. Und dennoch war es auch für mich viel zu früh. Ich glaub, es ist immer viel zu früh, wenn die Mama geht. Umso mehr freu ich mich für und mit Dir, dass Du in Deiner Oma einen Menschen hattest, der den Platz Deiner Mama zumindest einnehmen hat können.
Und auch wenn sie jetzt nicht mehr „physisch“ bei uns sind – in uns und unseren Herzen leben diese wunderbaren Menschen weiter – daran jedenfalls glaube ich ganz fest!
Alles Liebe, Iane